Newsparadies: Oettingers Märchenstunde

Specials => Feuilleton => Thema gestartet von: Plastikfisch am 14.04.2007, 18:48:53



Titel: Oettingers Märchenstunde
Beitrag von: Plastikfisch am 14.04.2007, 18:48:53
„Über die Toten nur Gutes“, heißt es. Was aber, wenn sich dunkle Flecken auf dem nicht ganz so weißen Totenhemd des Verblichenen befinden? Was, wenn genau dieser Verblichene ein Säulenheiliger der Konservativen im schwarzen Südwesten der Republik ist?

Vor diesem Dilemma stand der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Günther Oettinger (CDU), am vergangenen Mittwoch. Da musste er eine Trauerrede auf den kürzlich verstorbenen ehemaligen Ministerpräsidenten und Parteifreund Hans Filbinger halten.

Filbinger musste 1978 zurücktreten, weil bekannt wurde, dass er in den letzten Tagen des Dritten Reiches als Marinerichter an Todesurteilen gegen „Fahnenflüchtige“ und „Plünderer“ beteiligt war. Im Falle des Matrosen Walter Gröger forderte er in der Funktion des Vertreters der Anklage die Todesstrafe. Gröger wurde zum Tode verurteilt. Filbinger stellte persönlich das Exekutionskommando zusammen und gab den Feuerbefehl. Als er viele Jahre später aus dem Amt des Ministerpräsidenten schied, sprach Filbinger noch seinen Kritikern entgegen: „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein.“

In diesen Tagen also steht Herr Filbinger vor seinem überirdischen Richter und hier auf Erden versucht sich Parteifreund Oettinger an der Trauerrede. Heraus kam eine Märchenstunde…

Filbinger sei „schicksalhaft in eine Situation hineingeraten, die den Menschen heute zum Glück erspart bleibt“, dozierte er salbungsvoll der schwarz gewandeten und schwarz gesinnten Trauergemeinde. Wer glaubt, im Lichte der Geschichte hier schon das dünne Eis knacken zu hören, der vernehme noch die weiteren Oettingerschen Hymnen: Filbinger sei „kein Nazi gewesen, sondern ein Gegner des NS-Regimes, der sich aber den Zwängen der damaligen Zeit ebenso wenig wie Millionen andere entziehen konnte.“ Punkt. Die Zuhörer im schwarzen Geiste jubilierten still…

Aus der Rede des Herr Oettinger quillt eine eklige Essenz:

Der Bock wird zum Gärtner. Oettinger stellt mit seinen Worten einen kollektiven Persilschein für alle kleinen und großen Nazis aus. Waren doch Opfer ihrer Zeit, Befehlsnotstand, Recht und Ordnung, blalala…Der SA-Mann Filbinger, Mitglied in NSDStB und NSDAP, ein armes Hascherl in den Klauen der bösen Zeiten. Jaja, und wir Spätgeborenen sollen mal schön die Klappe halten, was wissen wir denn schon von damals?

Oettingers Rede ist nicht nur ein offensichtlicher Kniefall vor den konservativen Kreisen seiner Partei, sondern auch eine gefährliche Geschichtsklitterung und eine Verhöhnung der Opfer des NS-Regimes. Filbinger war alles Mögliche, aber gewiss kein Gegner der Nazis. Er gehörte zu den Funktionseliten, die sich skrupellos dem NS-Staat andienten und sein Bestehen erst ermöglichten.

Es ist erschreckend, wie leichtfertig ein amtierender Ministerpräsident hier im Trüben fischt, um sich bei seinem Wahlvolk anzubiedern. Erschreckend, wie das Unrecht des NS-Regimes verharmlost wird, ein Täter zum Opfer stilisiert wird, um damit in der Tagespolitik Pluspunkte zu sammeln.

Das ist ein Schlag ins Gesicht all jener wirklichen Opfer des NS-Regimes, für die niemand eine Rede hielt.

Kurzum: Diese Worte des Herrn Oettinger widern mich zutiefst an.

Entnommen aus dem zynkommunenblog
http://zynkommune1.blog.de/2007/04/12/oettingers_marchenstunde~2080774


Stichworte: Oettinger, Märchenstunde, Filbinger, Nazi, NS



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