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Home > Specials > Feuilleton > Private Jobber: Tagebuch eines privatisierten Arbeitslosen
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Beitrag: Private Jobber: Tagebuch eines privatisierten Arbeitslosen  (Gelesen 18039 mal) Drucken
 
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Private Jobber: Tagebuch eines privatisierten Arbeitslosen
« am: 12.03.2010, 08:10:32 »

Als Ergebnis einer Zukunftsstudie konnten wir folgende Tagebucheinträge eines unbekannten Autors sicherstellen. Wer diesen Autor kennt möge seinen Namen für sich behalten, denn: Warum soll's nicht so kommen?



01.04.
Heute ist es nun also soweit. Ich bin total aufgeregt. Dabei kenne ich den Laden doch seit Jahren. Aber wie werden sie sein, die neuen Nicht-Kollegen und die alten erst? Fast zwei Jahre ist es nun her, dass mein Boss meinte, er würde mir keinen Cent mehr geben. Nun, ab heute sieht die Sache wieder anders aus. Ich hätte ja auch nicht gedacht, dass ich wieder in den alten Laden komme. Aber die vom Arbeitsamt ähm. von der Arbeitsagentur ham' wohl überall, wo's möglich war, die Leute in ihre alten Firmen gesteckt. Und hey, mit abgeschlossener Ausbildung bekomme ich jetzt richtig Geld für den Job. Australisches System nennen sie das.

Hat ja auch recht lange gedauert. Das mit der Privatisierung der Arbeitslosigkeit. Als die Bundeskanzlerin damit angefangen hatte alle Arbeitslosen zwangsweise in die Fabriken zu verfrachten und die Bosse auch noch ordentliche Gehälter zahlen zu lassen, gab's natürlich Aufstände, schlimmer als beim Dosenpfand. Aber inzwischen haben sie's doch eingesehen, dass sie nicht drum rum kommen. Gingen halt zu viele Stimmen nach Links oder ganz woanders hin, dass die Politiker Angst bekommen haben. Allen vorran die Kanzlerin. Inzwischen hat sogar das Bundesverfassungsgericht das "Gesetz über die Privatisierung der Arbeitslosigkeit" als absolut verfassungskonform eingestuft.

Ich bin wirklich gespannt, wie das heute wird.
     

02.04.
Oh man, der Laden hat sich echt zurückentwickelt. Noch vor zwei Jahren eine blühende Mosterei mit Anlieferung und Gedöns. Und nun ein einfacher Getränkemarkt. Und der Alte erst. Rot vor Zorn und das den ganzen Tag. Nicht mal mit uns vier gesprochen hat er. Geschweige denn, uns Aufgaben gegeben. Naja, was soll's, zahlen wird er uns müssen.

Gestern kam auch gleich die nächste Hiobsbotschaft für unseren lieben Chef: Er muss uns im ersten Monat wöchentlich bezahlen. Damit will unsere immer noch verängstigte Regierung vermeiden, dass wir monatelang arbeiten ohne Geld zu sehen. Im Zweifel soll im Schnellverfahren abgeurteilt und ausgezahlt werden. Ich bin ja gespannt, wie das läuft.

09.04.
Was für ein Tag. Gestern morgen wäre ja eigentlich Zahltag gewesen. Aber fast wie zu erwarten wollte unser Chef keinen müden Euro rausrücken. Wir hätten ja nichts getan und so weiter. Wenn er uns keine Arbeit gibt... Alles Ausreden... Am Abend stand dann auf einmal die Polizei vor meiner Tür. ich dachte schon, ich hätte was verbrochen, aber die überreichten mir einen Umschlag mit meinem Wochenlohn. Mehr als ich sonst im ganzen Monat hab. Ich kam aus dem Jubeln gar nicht mehr raus. Bin ja mal gespannt, wie der Chef morgen drauf ist.

16.04.
Gute zwei Wochen dabei und irgendwie komme ich jetzt langsam wieder in der Arbeitswelt an. Nachdem unser Chef zahlen musste versucht er uns nun mit Arbeit wegzugraulen. Aber mir macht das nichts aus. Klaus und Karin auch nicht. Nur Tom war ja immerhin 8 Jahre ohne Job und ist das geregelte Leben nicht mehr so gewöhnt. Aber mit der Aussicht, gar nichts zu bekommen, fängt er sich langsam. Genauso wie Cheffe langsam etwas abtaut, wenn er gute Arbeit sieht. Klaus und Karin haben ihn mit Vorschlägen bombardiert und er hat sie prompt machen lassen. Das Ergebnis waren nur noch halb so viele Beschwerden wegen kaputter Flaschen usw.. Für das Geld, was er allein damit spart kann er die beiden fast bezahlen. Inzwischen überlegen wir schon, ob wir den Mostbetrieb wieder aufnehmen. Schließlich muss uns der Chef sowieso bezahlen und da will er wohl so viel raus bekommen wie möglich. Gestern hab ich ihn gefragt, warum er den überhaupt zu gemacht hatte. Er meint, die Leute wären zu faul oder zu alt geworden um genug Obst zu bringen und überhaupt wäre die Produktion zu teuer. Ich bin am Überlegen, ob sich da was machen lässt.

01.05.
Endlich komme ich mal wieder dazu in mein Büchlein zu schreiben. Die letzten Wochen waren turbulent. Auf einmal waren Klaus und Karin weg. Der Chef hat getobt nachdem er mit dem Menschen vom Arbeitsamt gesprochen hatte. Sein Konkurrent hat die beiden vom Fleck weg eingestellt und weg waren sie. Ich wünsche ihnen alles Gute. Das Amt hat dafür zwei Neue geschickt. Nicht ganz so gut wie die beiden, aber brauchbar. Seit einer Woche sind wir nun dabei und entstauben die ganzen alten Maschinen. Ich hab' mich mit den Bauernhöfen und Landläden in der Umgebung kurzgeschlossen und wir haben vereinbart, in Zukunft Saft und Wein aus eigener Mostung zu liefern. Im Moment haben wir natürlich noch keine Früchte, behelfen uns aber erst einmal mit Konzentraten aus Orangen und anderen Früchten, die es hier eh nicht gibt. Die Läden sind ganz guter Dinge. Viele Kunden lauern zwar sehnsüchtig auf den frischen Saft, aber ohne Früchte müssen sie halt noch ein wenig warten.

01.06.
Seit heute arbeite ich ganz offiziell wieder. Und auch Tom ist nun offizieller Angestellter unserer Mosterei. Sogar mehr Geld gibt es ab nächstem Monat und ich hab meinen eigenen Firmenwagen. Ist zwar nur ein Caddy mit Anhänger, aber neben der Saftausfahrerei für die kleinen Lädchen haben wir Großes mit dem Vehikel vor. Tom und ich werden uns gegen Herbst als "Erntehelfer in Nachbars Garten" betätigen. Es ist wirklich so, dass die allermeisten Obstbaumbesitzer inzwischen die 50 lange überschritten haben und froh sind, wenn sich jemand um die Früchte kümmert. Die meisten wollen sogar dafür zahlen. Wir haben Pinnwände und schwarze Bretter plakatiert und nach und nach wollen immer mehr Menschen, dass wir vorbei kommen.

01.08.
Nur kurz, voll im Stress. Ob Äpfel, Kirschen oder Erdbeeren. Wir holen sie bei den Senioren von den Bäumen und bringen sie in die Mosterei. Derzeit decken wir 30 Prozent des Umsatzes mit dem eigenen Saft und das trotz des heißen Sommers und dem riesigen Mineralwasserkonsum. Tom witzelt schon immer, wir müssten dem Chef demnächst einen Geldspeicher bauen, wenn das so weiter geht. Gut nur, dass die Mosterei noch über riesige Lagerflächen verfügt. Denn obwohl die Säfte sehr gut laufen, läuft das Obst noch besser. Wir werden ordentlich Vorräte für das nächste Jahr haben. Dafür läuft die Anlage fast die ganze Zeit. Unsere beiden neuen hatten sogar Seminare, damit sie die Wartung selbst machen können. Mindestens vier Mal am Tag fahren wir mit vollem Caddy samt Anhänger vor. Und die Liste der Kunden wird und wird nicht kürzer.

01.10.
So, endlich, die Saison ist erst einmal durch und eigentlich wollten wir in dieser Woche die Abfüllanlage gründlich warten. Aber daraus wird wohl nichts. So ein Konzentrathersteller will sie nutzen, weil es sich nicht mehr lohnt das Zeugs aus Polen anzukarren, wenn man dafür extra Arbeitslose zugewiesen bekommt und sie bezahlen muss. So langsam habe ich eh das Gefühl, dass diesem Land die Jobsucher ausgehen. Erst waren die vier Millionen aus der Statistik weg, dann kamen alle die versteckten an die Reihe und nun reden alle schon über Arbeitslose aus dem Ausland.

Sicher, einigen Branchen geht es schlecht. So wie den Zeitarbeitsfirmen, seitdem die Unternehmen ihre ganzen Externen einegstellt haben um die Zahl ihrer Zwangsarbeitslosen runter zu bekommen. Gejammert haben auch die Chemiekonzerne, aber als sie mit Heerscharen von neuen Leuten doch ran ans Bezahlen mussten, haben sie sich auch eines Besseren besonnen und ihre Forschungszentren zurück nach Deutschland verlegt. Immerhin sind dabei inzwischen gute AIDS-Medikamente rausgekommen. Somit jammern eigentlich nur noch die Banker so richtig. Mit 10.000 Zwangsarbeitslosen in einem einzigen Fond waren die natürlich nicht mehr bezahlbar und so leben die Herren Banker nun wieder von dem kleinen Unterschied zwischen Soll- und Habenzins. Dafür mussten sich die Anleger neu orientieren: Grundbesitz, direkte Aktieninvestition und vor allem Gold und Edelmetalle sind absolut In. Was für die Unterhaltungselektronik blöd ist. Aber was soll's?

01.01.
Wow, was ist im vergangenen Jahr nur alles passiert? Ich hab einen neuen Job, einen Firmenwagen und wieder ein eigenes Auto, hab meine Wohnung renoviert und überlege schon, ob ich sie kaufe. Schließlich muss man ja auch für's Alter vorsorgen. Deutschland ist übrigens Exportweltmeister geblieben, nur die Reisen ins Ausland sind spottbillig geworden. Ich werde mir in diesem Jahr auch mal wieder einen Urlaub gönnen. Nächste Woche werden wir endlich die Abfüllanlage säubern können. Aber nicht, weil nichts zu tun wäre, sondern weil der Chef eine niegelnagelneue zweite Anlage gekauft hat und obwohl die mehr schafft werden wir auch das alte Stück noch bitter brauchen. Für's nächste Jahr gibt's darüber hinaus auch einen kleinen 3,5-Tonner für's Ausfahren und Obst sammeln. Können wir auch gut gebrauchen. Ach und Karin kommt zurück. Der Chef hat sie der Konkurrenz abgejagt. Eine gute Disponentin können wir wirklich brauchen. Es ist im Moment gar nicht si einfach, Leute zu bekommen. Seitdem so viele so viel mehr Geld in der Tasche haben kommen viele Firmen mit dem Produzieren kaum mehr nach. Also dann: Happy new Economy!


Stichworte: Arbeitslos, Privatisierung, Job, Politik, Geld
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Bildquelle: http://www.finanz-duell.de


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