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PayBack
« am: 07.10.2007, 21:34:53 »
Die Rachekarte

Früher.

Ja, ich weiß ja, dass eigentlich jeder denkende Mensch unter 80 bei einer derartigen Einleitung bereits nur noch mit halber Kraft am lesen ist und eigentlich spätestens nach dem ersten Satz weiterclickt. Auf der anderen Seite ist es schließlich so, dass wir wirklich mal einen Kaiser hatten und auch inzwischen Psychologen und Hirnforscher einstimmig die Existenz eines Schnitzers in der menschlichen Physiognomie bestätigen, nach welchem auch Tante Erna immer mehr und mehr den Blick für das Schlechte der Vergangenheit verliert. Da dies alles aber nun auch den letzten Leser von der Lektüre verscheucht haben sollte, werde ich mich wohl den Konventionen anpassen müssen und diesen Text ganz anders beginnen. Also:

Ganz früher.

Wie war das eigentlich so mit dem Lebenserwerb, ganz früher?  Nehmen wir mal Dieter. Dieter ist nun also ein Hüttebewohner nahe eines Strandes in Afrika. Seine Hütte ähnelt einer Bruchbude, der Kühlschrank ist leer und beim Kochen brennt ihm das Wasser an. Sein größtes Hobby ist das Anstarren junger Mädchen am Strand, aber so richtig bekommt er den Mund nicht auf. Die anderen aus seinem Hauptschuljahrgang sind bereits fast alle verheiratet, haben Kinder, schöne Häuser, Yachten und Pferde und sind glücklich. Nicht so Dieter.

Eines Tages nun stolpert Dieter bei seinen Streifzügen über eine Muschel und direkt vor die Füße eines jungen Dings. Krebsrot stammelt er etwas von Entschuldigung, findet den Übeltäter und präsentiert diesen dem jugendlichen Geschöpf. Zu seiner Überraschung ist starrt selbiges verzückt auf die glitzernde Schale eines des bereits ausgezogenen Tiers, befestigt einen Lederriemen daran, hängt sich das Ganze um den Hals und weicht Dieter fürderhin nicht mehr von der Seite.

Sie kocht, putzt und was der Dinge mehr sind. Da aber Dieter nicht unbedingt der geborene Bauherr ist, bleibt die Hütte unansehnlich. Und weil Dieter es mit dem Jagen und Fischen nicht so hat, bleibt auch der Speiseplan karg. Das einzige, was Dieter wirklich gut kann ist Muscheln finden. Wobei noch niemand wirklich weiß, ob es es kann, denn die anderen interessieren sich einfach nicht für Muscheln. Dafür begeistert Dieter mit den glitzernden Hüllen die holde Weiblichkeit, was ihm zwar einiges an Auswahl verschafft, den Nachschub an gekochter Nahrung und sauberer Hütte aber mitunter empfindlich einschränkt.

Schlimmer noch, kommen alsbald auch die anderen Männer auf die Idee, dass Muscheln sie für ihre Gattinnen und Liebhaberinnen begehrlicher machen. Und was sieht schon besser aus als zwei hübsche Miezen, die sich auf dem Vordeck der eigenen Yacht räkeln? Richtig: Zwei hübsche Miezen, die sich auf dem Vordeck der eigenen Yacht räkeln und dabei bunte Muscheln um den Hals tragen. Doch nicht jeder ist beim Stolpern über diese Muscheln so erfolgreich wie Dieter, weshalb sich letzterer bald einer niegelnagelneuen Hütte incl. Großraumyacht, Goldkettchen, Privatjet und eigenem Gestüt erfreut. Selbst die holde Weiblichkeit akzeptiert zähneknirschend Dieters Sinn für Abwechslung.

Und siehe da, der Handel war erfunden.

"OK, Happy-End", wie eine osteuropäische Satirefigur sagen würde. Vielleicht nicht für Feministinnen, aber die wollen wir hier einmal für eines Sekunde außen vor lassen. Doch behindert einer von Dieters Charakterzügen das vollkommene Glück. Dieter ist faul. Dieter ist der Typ, der sich lieber eine Ausrede dafür einfallen lässt, warum ihm keine Ausrede einfällt als selbst auch nur einen Finger zu rühren. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Dieter nach kürzester Zeit mit seinen Lieferungen ins Hintertreffen gerät. Viel mehr droht ihm der ganze schöne Luxus, nebst seines Lebens schnell abhanden zu kommen. Aber Dieter ist auch einer von der Sorte, die dann, wenn es gar nicht anders geht auch einmal ihr Hirn einschalten. Er fragt also das Junge Ding, welches er gerade gestern geehelicht hatte um Rat worauf sie meint, dass der Marc und der Daniel auch schöne Muscheln hätten. Dieter bekommt wieder einen roten Kopf. Diesmal aber nicht aus Scham oder Wut, sondern weil ein Licht in ihm leuchtet. Er wendet sich also an Marc und Daniel und erlaubt ihnen gegen ein paar Muschen, sich auf dem Vordeck seiner Yacht zu räkeln und dabei bunte Muscheln um den Hals zu tragen.

Damit hatte Dieter dann nicht nur das Geld erfunden, sondern auch gleich den Stand des Arbeitgebers. Denn nun konnte er nicht nur seine Gläubiger befriedigen, sondern sich auch zurücklehnen bis ihm Marc und Daniel immer neue Muscheln brachten. Doch dann war es so weit, dass auch Marc und Daniel eine eigene Hütte und vor allem eine eigene Yacht wollten. Leider waren die  beiden bei körperlicher und vor allem handwerklicher Arbeit ebenso unbegabt wie dies bei Dieter der Fall war. Doch Dieter hatte auch hier eine Lösung. Oder besser, seine Aktuelle hatte ihn mit den Worten: "Andere können's besser" am Abend zuvor darauf gebracht. Er nahm also wieder Muscheln von Marc und Daniel und brachte sie dem besten Hüttenbauer um ihn davon zu überzeugen eine Hütte für – nunja – Dieter zu bauen, die dieser dann an Marc und Daniel für die Muscheln geben konnte. Nun schaffte es auf Grund der aktuellen Auftragslage der Hüttenbauer nicht, selbst den Bau in die Hand zu nehmen. Er fragte daher Marc und Dieter, ob sie ihm beim Bau nicht (für ein paar Muscheln) helfen wollten.

Gesagt, getan, Marc und Daniel bauten die Hütte, bekamen Muscheln, die sie Dieter gaben und die er (mit einem kleinen Abschlag) dem Hüttenbauer gab, damit dieser (mit einem kleinen Abschlag) sie Marc und Daniel aushändigen konnte. Leider genügten die Muscheln nun nicht mehr, die die beiden eigentlich für den Hüttenbau hatten ausgeben wollen und durch die viele Arbeit an der Hütte waren sie schon ziemlich eingespannt, sodass sie nur noch selten dazu kamen, neue Muscheln zu suchen. Inzwischen hatten sich aber – Gott sei Dank – genug Muscheln bei Dieter angesammelt, sodass er (gegen einen kleinen Aufpreis) die Forderungen des Hüttenbauers begleichen konnte. Schließlich war es soweit, dass Marc und Daniel ihr neues Heim beziehen konnten und da sie noch mindestens 20 Jahre jeden Tag für Dieter Muscheln suchen müssten um es abzubezahlen war auch Dieters Auskommen gesichert. Zugleich hatten sie damit weder Zeit noch Verwendung für eine eigene Yacht, womit auch dieses Problem gelöst war.

Und Dieter hatte die Bank erfunden.

So lief das einige Jahrtausende. Aus den Muscheln wurden Edelmetalle. Manchmal auch weniger edle Metalle, dafür aber mit dem Kopf irgendeines meist älteren Herren drauf, auf den die Frauen flogen, eben weil er schon alt und gebrechlich war. Handel und Wandel blühte und schon bald wurden auch die Scheiben aus Metall zu schwer, sodass nach und nach auch einfache Zettel ausreichten. Man schrieb einfach eine Zahl darauf, druckte den Kopf eines Mannes, auf den die Frauen flogen, eben weil er schon alt und gebrechlich war, daneben und gab es Marc und Daniel, die den Kredit für ihre Hütte immer noch nicht abbezahlt hatten. Dumm nur, dass keiner Zettel von Marc und Daniel haben wollte, auf denen sie ihre eigenen Köpfe draufgedruckt hatten. Man sagte ihnen, dass das verboten sei und fragte sie, ob denn Frauen auf sie fliegen würden, und ob sie denn schon alt und gebrechlich wären.

Schließlich kam der Computer,

und damit die Revolution der Zettel. Sie waren einfach zu unhandlich. Zum einen, weil immer die gleichen Zahlen drauf standen und keiner wusste, ob der Zettel, den der andere da nun gerade in der Hand hatte auch der war, den Dieter ihm gegeben hatte und zum anderen weil gerade auch ältere Männer, die, auf die die Frauen nicht fliegen, weil sie schon alt und gebrechlich sind, die ganzen Zahlen nicht mehr erkennen konnten und im Supermarkt die Kassiererinnen aufhielten. Statt also der Zettel mit den festen Zahlen kamen nun Zettel auf, auf die jeder genau die Zahl schreiben konnte, die der andere wollte. Doch auch dies wurde mit der Zeit schwierig weil viele Menschen dazu tendierten, viel zu viele Zettel auszustellen und diese vor allem mit viel zu großen Zahlen darauf. All diese Probleme konnte aber der Computer nicht lösen.

Dafür konnte man auch in ihn Zahlen fast jeder Größe hineinschreiben, die dieser sich merkte und zu einem vollkommen anderen Zeitpunkt, einer vollkommen anderen Person zu einem ganz bestimmten Zweck zeigte. Nun musste man dem Computer nur noch sagen, wer denn diese Zahl eingegeben hatte und die Zettel wären Geschichte. Zunächst versuchte man dies damit, dass derjenige, der seine Zahlen dem Computer mitteilen wollte seinen Namen auf einen Zettel schreiben sollte. Das wäre kein Problem gewesen (außer vielleicht für den Wald), wenn nicht eine brilliante Bildungspolitik verhindert hätte, dass die größten Fans von Marc und Daniel gewusst hätten wie man seinen Namen auf einen Zettel schreibt. Dass sie auch nicht wussten, welche Bedeutung die komischen Zeichen hatten, sie in den Computer eingegeben wurden war dabei weniger wichtig.

So also wurde die Scheckkarte erfunden.

Und mit dieser Kamen pfiffige Werbestrategen auf die pfiffige Idee, die pfiffigen Ideen der 30'er wieder aufzuwärmen. Nicht nur die Klementine kehrte zurück sondern auch gleich die alten Abreißzettel, mit deren Hilfe der fleißige Sammler nach dem Ablauf weniger Dekaden in der Tat ein kleines Vermögen hätte machen können, wenn er statt sich auf die Zettel zu konzentrieren einen Nebenjob angenommen hätte.

Und dann kam PayBack.

PayBack ist eine vollkommen neue und moderne pfiffige Idee, mit deren Hilfe fleißige Sammler nach dem Ablauf weniger Dekaden in der Tat ein kleines vermögen machen können, wenn sie sich statt auf die Karte zu konzentrieren einen Nebenjob annehmen.

Unsicher wurde ich, als ich neulich an der Kasse einer Tankstelle stand und gefragt wurde, ob ich denn eine PayBack-Karte besäße. Diese Frage machte mir Angst, allein schon weil selbige Kassiererin dabei ihr Handy zückte und mich dieser Akt unwillkürlich an meine Grundkenntnisse der englischen Sprache erinnerte.

Sicher, für einen Briten muss eine solche Situation in etwa dem entsprechen, was wir fühlen, wenn wir lesen, dass sich die noch müde russische Hausfrau morgens um vier in die Küche macht um "Butterbrot" für ihren "Musch" zu schmieren, der in seiner "Fuhre" noch eine lange Reise auf der "Afterbahn" vor sich hat. Genau genommen trifft das Verb schmieren hier nicht den Kern, denn mitunter finden sich zwar die Überreste sämtlicher im Umkreis von 1.000 km auftretenden Spezies auf der Bemme, dafür aber nicht der kleinste Hauch von Butter.

Ich denke, meine aufkeimende Panik dürfte verständlich sein. Wieso PayBack? Wieso also Rache? Wer wollte sich an mir rächen? Wofür? Und was hatte diese junge Dame damit zu tun? Leicht verschüchtert verneinte ich daher wahrheitsgemäß und war doch etwas konsterniert, als das Mädchen von der Kasse diese Antwort zunächst ohne Murren schluckte, gleich darauf aber dazu ansetzte mir eine solche Karte verschaffen zu wollen. Ich fragte sie, womit ich denn rechnen müsste, wenn sie dies täte. Dies lies nun das Mädchen mit einem unsicheren Blick zurück. Bevor sie sich es anders überlegen konnte zahlte ich und ging.

Später aber übermannte mich die Faszination für diese Idee. Man versehe alle Menschen, mit denen man gegebenenfalls aneinander geraten könnte mit einer solchen Rachekarte und bei Bedarf harrt die fürchterliche Wirkung der Entfaltung. Sicher eine gute pfiffige Idee, welche besonders für Politiker, Gebrauchtwagenhändler, Betrüger und Diebe Anwendung finden könnte. Nur was waren die fürchterlichen Folgen der PayBack-Karte denn nun?

Der Fluch des PayBack.

Ja, genau den wollte ich aufspüren und befragte daher das Internet. Hier wurde die Rachekarte auch mit großen, blauen Lettern angepriesen. Wobei die fürchterliche Wirkung auf den ersten Blick zunächst einmal harmlos klang. Der mit einer solchen Karte Bestrafte wird mit Werbung überschüttet. Zudem bekommt er in aktivitätsabhängigen Schritten Pakete mit mehr oder weniger sinnlosem Inhalt. Der Angriff der Rachekarte zielt also darauf ab, dem Opfer die Zeit zu rauben.

Ich hatte auch Gelegenheit mit betroffenen zu sprechen. Man sagte mir, dass das System so perfide sei, dass selbst die Selbsthilfegruppe der Opfer bereits während der Planung durch den Erfinder der Rachekarte mit Aufgebaut wurde. Damals seien Mitarbeiter als angeblich geschädigte durch die Lande gezogen und haben Gleichgesinnte gesucht. Auf diese Weise kann der Rachekarten-Betreiber offenbar stets die Wirkung seiner Maßnahmen überwachen und eventuell Strafverschärfungen, so genannte Sonderaktionen, verhängen.

Ich bin inzwischen froh, nicht Opfer der Rachekarte geworden zu sein und habe mich nun entschieden, in Zukunft alle Ausgabestellen rigoros zu meiden. Auch meine Tankstelle musste ich dabei wechseln, was jetzt zwar bedeutet, dass ich nur noch billigen Sprit tanken kann und nicht etwa den teuren mit der Spezialfarbe, die ihn so schön blau macht. - Das konnte ich leider nie sehen, aber man sagte mir, es wäre so. - Dafür lächelt der asiatisch angehauchte Nachttankwart immer so herzerfrischend, wenn er mich sieht. Ich hoffe mal, der führt nichts im Schilde.
   

Stichworte: Payback, Handel, Deutschland, Geld, Wirtschaft
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