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Beitrag: einmal Lettland und zurück  (Gelesen 19727 mal) Drucken
 
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einmal Lettland und zurück
« am: 01.09.2006, 09:40:12 »
Lettland?

Lettland? Wie? Kennt Ihr nicht? Macht nichts? Dann schau 'mer uns da doch mal um.

Also von der Karte her liegt Lettland eingezwängt zwischen Litauen und Estland, noch Fragen? OK, also, wenn man in Berlin losfährt, nach Polen rein und mal so quer durch kommt man nach Litauen. Und wenn man da ein mal durch ist, steht man in Lettland. OK, sagt dem Radfahrer aber immer noch nicht so viel, also nochmal. Lettland ist hier:



Zahlen, Zahlen, Zahlen

Nachdem das nun geklärt ist ein paar Zahlen (muss halt sein). Lettland hat etwa 2 Mio. Einwohner, rund die Hälfte davon leben in der Hauptstadt Riga. Gute 70% von denen in Platte. Also (für Nicht-Berliner) in rechteckigen und verfallen wirkenden Hochhäusern mit 5 bis 9 Etagen aus russischer Fertigung. Interessant daran ist vielleicht, dass die meisten Wohnungen in den Häusern nicht nur bestens gepflegt sind sondern auch den Bewohnern gehören.

Dieser Umstand begründet sich auf der Tatsache, dass Lettland bis zur Auflösung der Sowjetunion Teil der UDSSR war und damit alles Wohneigentum dem Volke - sprich Staat - gehört hat. Nach der "Wende" waren die Wohneinheiten dann recht preisgünstig zu erwerben.

Auch eine zweite Eigenheit, die die baltischen Staaten durchzieht ist auf die Ex-Sowjetunion zurückzuführen: Nur 60% der Letten sind Letten. 40% sind Russen, eingewandert zu Sowjetzeiten und Überbringer und Eintreiber russischer Kultur, Sprache usw. So stellt sich die Abspaltung Lettlands von Russland nicht nur politisch, sondern vor allem auch kulturell dar. Amtssprache ist nun wieder Lettisch, eine eher nordische Sprache, dass zumindest in meinen Ohren dem Suomi ähnlich klingt. Auch alle Schulen haben das Russische in den Rang einer Fremdsprache verbannt. Für den geneigten Mitteleuropäer bietet dieser Umstand einen Vorteil, denn Lettisch schreibt sich mit den uns bekannten lateinischen Lettern und nicht wie das Russische mit kyrillischen. So bleibt uns wenigstens die Chance, Straßennamen usw. halbwegs zu entziffern.

Bezahlt wird immer noch in Lat, da Lettland trotz EU-Mitgliedschaft bislang noch nicht auf Euro umgestellt hat. Ein Lat sind ca. 1,40 Euro.


Zu Lande, zu Wasser und in der Luft

Wie kommt man nun hin ins Land der Letten. Nun, der Wege gibt es da viele. Mit dem Auto sind es ca. 18 Stunden Fahrt und runde 1.500 Kilometer, wenn man kein Visum für Russland besitzt. Ansonsten genügt ein Reisepass evtl. auch ein Personalausweis den Zöllnern. Problematisch an dieser Art zu reisen ist der Umstand, dass eine Fahrt durch Polen unerlässlich ist und zwar entweder auf teuer ausgebauten Straßen bei denen bis Warschau hinter jedem Baum eine Polizeistreife lauert (samt sinnlosem 50-Schild davor) oder quer durch die "Pampa" mit entsprechendem "Geläuf". Durch Dutzende von Städten und Dörfern und tausende von Schlaglöchern. Die in Polen maximal erlaubten 100km/h auf Landstraßen werden da eher zur Lachnummer. Ein weiterer Nachteil ist die Kriecherei in Litauen und Lettland. Zwar verfügt Litauen wenigstens über ein paar Kilometer Autobahn, diese führen jedoch nicht in Richtung Lettland. Was bleibt sind die zumindest in Litauen eher besser ausgebauten Landstraßen. Mit einer maximalen Geschwindigkeit von 90km/h bleibt der Spaßfaktor dabei aber auf der Strecke. Zudem beschränken sich lettische und litauische Behörden bei der Straßengrundung auf runde 10 cm., was zur Folge hat, dass die Hälfte der Strecke normalerweise eine große Baustelle ist.

Ob die Fahrt mit dem Bus da mehr Spaß bringt wage ich zu bezweifeln. Ich hab sie mir noch nicht angetan aber Erzählungen zufolge ist sie noch anstrengender. Der Bus benötigt 24 Stunden bis Riga und macht dabei eine ganze Pause. Eingesetzt werden Fahrzeuge, die zwar äußerlich und auf den ersten Blick zumeist eine ansprechende Figur machen. Bei genauerer Betrachtung fällt dann aber doch die eine oder andere Stelle auf, die von einem eher betagten Gefährt zeugt. Zudem haben Busse nicht selten "Sonderauftritte" in den lettischen Medien, wenn dann mal wieder einer statt der Straße einen Graben neben selbiger als bevorzugten Aufenthaltsort ansieht.

Auch zu Wasser kann man sich Riga nähern, sei es mit Umsteigen über Finnland oder direkt. Nachteile dabei sind neben der Reisezeit die doch nicht unerheblichen Kosten, die ein solcher Trip mit sich bringt, erst recht dann, wenn man gewillt ist, sein Auto mitzunehmen.

Was bleibt? Was bleibt ist der Weg durch die Luft. OK, mit Auto mitnehmen ist dann Essig und was die Kosten betrifft, kommen eigentlich auch nur zwei Linien in Frage. Eine ist Britisch und fliegt jeden zweiten Tag von Berlin Schönefeld nach Riga. Vehikel ist ein A340 mit engst möglicher Bestuhlung. Die Reisezeit beträgt ca. 1,5h und die Buchung erfolgt per Internet. Tragisch daran: Der Flug ist so früh, dass man mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht rechtzeitig hinkommt, wenn man nicht in der Nähe wohnt. Parkplätze existieren zwar, aber die Kosten bei einem längeren Aufenthalt sind schon enorm. Zudem handelt es sich um eine englische Fluglinie was X-fache Extrakontrollen usw. nach sich zieht.
Die andere Linie ist da zwar ein wenig teurer, fliegt aber mit einer ebenso eng bestuhlten 737 nicht unbedingt eine größere Maschine. Dafür lässt sich der Flieger in Hamburg problemlos auch mit der Bahn erreichen. Problematisch ist ggf. das Personal der estnischen Fluglinie, genauer gesagt deren Englisch. Da es aber bei beiden Gesellschaften eh keinen kostenlosen Service gibt und man nach gut 1:20h wieder festen Boden unter den Füßen hat, ist dieser Nachteil zu verschmerzen.

Stichworte: Lettland, Reisebericht
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« Antwort #1 am: 19.09.2006, 16:08:47 »
Land und Leute - vor allem Leute...

Die Hälfte der Einwohner Lettlands wohnen in Riga und die absolute Mehrheit derer wohnt in dem was der Berliner als "Platte" bezeichnet. Im Gegensatz zur selbst besetzten Eigenruine in Kreuzberg sind Rigas Wohnsilos aus Sowjetproduktion aber mit Privateigentum durchzogen. Will sagen: Eine Eigentumswohnung an der anderen und getreu dem russischen Duktus gibt es weder Hausmeister noch Eigentümergemeinschaften, die den ordnungsgemäßen Zustand der Gemeinschaftsanlagen wie Treppenhaus, Hof usw. sichern würden. Entsprechend machen selbige Örtlichkeiten auch einen beklagenswerten Eindruck. Die Treppenhäuser würden hierzulande kaum als Feuertreppen durchgehen, Innenhöfe und Grünanlagen firmieren zu recht als Bauruinen und Kinderspielplätze verdienen auf Grund der doch eher maroden Anlagen die Bezeichnung Abenteuerspielplatz voll und ganz.

Ein ganz anderes Bild zeigt sich in dem Moment, in dem man die Doppeltürschleuse - mit mindestens 3 Spezialschlössern - hinter sich gelassen hat. Wohlige Wärme, liebevolle Einrichtung und je nach Geldbeutel mehr oder weniger aufwändig gepflegte, wenn auch zumeist drangvoll enge vier Wände. Dieser Wesenszug beschränkt sich aber nicht allein auf die häusliche Gesellschaft, vielmehr finden sich entsprechende Ansätze sogar in den, in den letzten Jahren aus dem Boden geschossenen Malls wieder. Angefangen mit Rolltreppenanlagen, die nur Rolltreppen nach oben kennen, über ausgetretene Stufen, Müll usw., zeigt sich durchaus an den Gängen dieser Passagen wo der Rotstift angesetzt wurde. Wiederum ein komplett anderes Bild entsteht, sobald man sich gezwungen sieht einen der in Franchising geführten Klamottenläden irgendeines Labels, welches garantiert nur Frauen kennen, zu betreten. Mit viel Liebe eingerichtet stehen massenweise Bedienstete herum. Sicher, im Vergleich zu entsprechenden Etablissements deutscher Prägung ist es mitunter ganz angenehm, sich stundenlang von Klamottenregalen aufhalten zu können ohne von einer Angestellten belästigt zu werden. Naja, solange man nichts kaufen will wenigstens. Das Personal derartiger Etablissements setzt sich zumeist aus Studentinnen zusammen. Diese sind zwar dank Dumpinglöhnen nicht wirklich daran interessiert zu arbeiten, aber, so kann der westliche Investor aufatmen bemühen sich mitunter wenigstens um Freundlichkeit.

Der Standardfall ist dies sicher nicht, weshalb hier eine kleine Anleitung erfolgen soll um dem geneigten Leser den Aufenthalt in einem lettischen Geschäft zu erleichtern. Die folgenden Fakten sind zu berücksichtigen:

Nein, das ist kein Krach sondern die Lieblingsmusik der Oberbedienung, die da im Metal-Beat bei maximaler Lautstärke durch die Boxen schießt. Aber, Regeln Nr. 1: Immer Vorteile nutzen!
Da es wegen des Lautstärkepegels eh geboten ist, mit Händen und Füßen zu reden fällt auch die mangelnde Sprachkenntnis nicht auf.

Regel 2: KEIN RUSSISCH!
Dem nicht Eingeweihten mag es komisch vorkommen, aber ein Lette ist nun mal kein Russe und er hat auch eine andere Sprache usw. Sicher wird eine russische Verkäuferin nichts dagegen haben, wenn man versucht sich mit seinen bescheidenen Kenntnissen dieser Sprache an sie zu wenden. Einer Lettin wird man damit aber auf keinen Fall imponieren können. OK, sie hat sich während der Sowjetzeit zwar eher schlecht als recht mit dem Russischen vertraut machen müssen, aber diese Versuche blieben eher bescheiden und so richtig gewollt hat es auch niemand. OK, sie hat zwar ihren Job bekommen, weil Zweisprachigkeit bei der Einstellung ein Thema war. Aber wieso russisch, wenn man nicht muss?
Viel Einfacher ist das, nein, nicht Englisch, sondern: Deutsch! Deutsch war beliebte Fremdsprache in Lettland und ist es bis heute. Sicher, viel ist da bei den schulischen Bemühungen auch nicht raus gekommen, aber immerhin eine Gelegenheit zu glänzen für die Dame also geben wir ihr diese.

Wichtig ist auch das Rollenverhalten innerhalb eines Geschäftes. Hierfür ist wichtig zu wissen: Wer ist die Verkäuferin?
  • Handelt es sich um einen Mann, so ist es entweder ein Kunde, der Chef, oder man hat sich in einen Baumarkt verirrt. Als Ansprechpartner also ungeeignet, da Chefs einem in Lettland nur sehr ungern etwas verkaufen.
  • Schaut jemand lieb, nett und erwartungsvoll, ist diese Person höflich, zuvorkommend und hilfsbereit so handelt es sich um eine Kundin, denn erstens legen Männer solche Eigenschaften nicht an den Tag und zweitens will sie ja irgendwann ihre gewünschten Waren bekommen.
  • Schaut jemand entschuldigend, bedauern und ratlos so handelt es sich um die Putzfrau.
  • Und richtig, die gestrenge Damen, die einen gerade unfreundlich anweist, man solle doch in die Null Personen umfassende Schlange treten und eine Nummer ziehen, diese ist das gesuchte Wesen, nur eigentlich will man dann meistens gar nichts mehr kaufen...
  • Eine Ausnahme bilden Bedienrestaurants. Hier erkennt man die Bedienung mit Hilfe des Gehörs. Man konzentriert sich einfach auf das Geräusch am Boden zerschmetternden Geschirrs und wird schnell fündig.

Weiterhin zu beachten ist Regel 3: Vorsicht! Vorsicht! Vorsicht!
Nicht nur, dass Lettland zumindest in einer Beziehung absolut Europas Spitze ist, nämlich bei den Verkehrstoten pro Einwohner. Von Rücksicht und honorigen Umgangsformen bleibt nicht nur der Straßenverkehr weitgehend verschont. Auch die besitzlose Gesellschaft wird von Letten und Zugereisten aus dem ex-sowjetischen Freundesreich gern eigenwillig ausgelegt. Es empfiehlt sich also, wichtige Papiere im Hotel zu lassen und nur soviel Bargeld zu besitzen wie unbedingt nötig. Kreditkarten sind in Lettland nicht unbedingt erforderlich, dafür aber eher unsicherer als Bargeld. Letztlich stellt eine Geldbörse einen eher einfach zu stehlenden Gegenstand dar was viele Letten dazu bewegt ihr Geld ohne Börse in der Hosentasche zu tragen. Ansonsten empfehlen sich sichere Taschen.

Eines haben hingegen auch die Letten der russischen Seele ohne murren abgeschaut: Den Alkoholkonsum!
Nein, es ist nichts besonderes, wenn sich beim Treffen zweier alter Freunde eine Flasche Wodka schnell ziemlich leer fühlt und wahrscheinlich hat dies auch etwas mit den hohen Unfallzahlen zu tun.
So lautet Regel 4: Sei trinkfest!
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« Antwort #2 am: 27.10.2006, 10:55:27 »
Shopping, Preise und Leben...

Die Hälfte Lettlands ist agrarisch geprägt und so sind auch ihre Einkaufsmöglichkeiten, nämlich: nicht vorhanden. In Riga (und anderen Städten) sieht es aber inzwischen ganz anders aus. War es noch vor wenigen Jahren so, dass sich Wochenmärkte und vergrößerte Tante-Emma-Läden, die eigentlich schon immer existierten (und auch so aussehen), die Gunst des Kunden teilten, so hat heute mit dem klassischen Supermarkt die Moderne vielerorts Einzug gehalten.

Auffällig ist dabei oft die Fülle an Personal und besonders der Platz, der der Warenpräsentation zugestanden wird. Ein Bild wie Tag und Nacht, möchte man meinen, nur hat dieser "Luxus" seinen Preis. verglichen mit dem Tante-Emma-laden gibt es nämlich wie hier keine persönliche Bedienung und auch die Qualität ist nicht wirklich besser. Dafür sind die modernen Läden aber deutlich teurer.

Lettlands Preise sind für den Mitteleuropäer aber sowieso ein erklärliches Rätsel. Importwaren sind (wen wundert es) ca. 30% teurer als hierzulande. Auch die einheimischen Waren haben stark angezogen. Preiswert sind (noch) Dienstleistungen so lage keine ausgewiesenenen Fachkräfte benötigt werden und man sich nicht gerade in einer Touristenfalle befindet. Als Beispiel für den Preisauftrieb dank EU sei Diesel angegeben. Kostete der Liter kurz nach dem EU-Beitritt noch 38 Centime (ca. 55 Cent), so liegt die gleiche Menge Antriebsstoff für den fahrbaren Untersatz heute bei 62 Centime (ca. 88 Cent) und ist damit nur noch unwesentlich preiswerter als im an Deutschland angrenzenden Polen.

Riga selbst beherbergt neben altbackenen Tante-Emma-Läden und neuzeitlichen Super- und Baumärkten aber noch eine ganze Menge einer anderen "Seuche", die auch hierzulande immer mehr um sich greift: der Mall. Gemeint sind überall aus dem Boden sprießende und auch zumeist schnell wieder eingehende mehrstöckige Einkaufspassagen, deren Geschäfte zumeist mit Bekleidung, Schmuck oder sonstigem Luxusgut ausgestattet sind. Die lettische Eigenheit, Rolltreppen nur aufwärts zu bauen (übrigens auch in Kaufhäusern) wäre dabei ja noch zu verschmerzen. Aber die eher schnell zusammengezimmerten Baue stehen Witterungen bis -20°C und Seeluft kaum 3 bis 4 Jahre durch. Hinzu kommt noch die mangelnde Pflege, was derartige Häuser schnell in einen beklagenswerten Zustand versetzt. Gedacht sind diese "Tempel" wohl für den neureichen Mittelstand, welcher sich im eigenen Auto (eher unüblich für Lettland) relativ bequem diesen Geldvernichtungsmöglichkeiten nähern kann.

Sprach ich eigentlich schon über Kommerzialisierung? Nein? Nun gut: Möchte man man Riga von der Seeseite entdecken, so haben sich den vorhandenen Sehenswürdigkeiten einige hinzugesellt, wie ein weit überlebensgroßes "Chrysler"-Transparent oder der übergroße Schriftzug eines dieser Einkaufszentren direkt vor der altehrwürdigen russisch-orthodoxen Kathedrale. Nachts begrüßt einen eine min. 15 m hohe LG-Werbung mit stetig wechselndem Lichtspiel, sodass die altehrwürdige und berühmte rigarer Bahnhofsuhr dahinter verblasst. Will sagen: Schreiendes Gebuhle um den Kunden, ganz a la USA. Die altehrwürdige Hansestadt befindet sich inzwischen also komplett im Bann des Kommerz mit all seinen Schattenseiten. Anders sieht es bereits in den Vororten und erst recht auf dem platten Land aus. Dorthin hat es offenbar dank mangelnder Kaufkraft nicht einmal die üblichen Autohändler oder McDonalds hin verschlagen.

Aber zurück zu den Dienstleistungen: Einen nicht ganz unwichtigen Teil selbiger bildet zumindest hierzulande die Gastronomie. Inzwischen ist das in Lettland ähnlich, wobei man die Güte eines Restaurants immer noch danach messen muss wie oft man das Klirren von zerschmetterndem Geschirr wahrnimmt. Auffällig ist auch, dass solche Etablissements bereits Damen als "alte Hasen" ausweisen, die sich dem Bedienen vielleicht 2 Jahre gewidmet haben. Offenbar war es in Zeiten vor dem Konsumrausch ungewöhnlich, sich bedienen zu lassen. So sind die wahrscheinlich bekanntesten Restaurants in Riga immer noch Selbstbedienungsläden, hübsch zwar und auch schmackhaft aber eben dann doch mit dem Charm einer Werkskantine.

Ansonsten gilt sowohl in Geschäften, als auch in Restaurants, Cafe's und Bars die lettische Eigenheit im Musikgeschmack. Will sagen: Ramstein, fast in Diskolautstärke, beschallt die Gürkchen und überteuerten Kohlköpfe im Supermarkt. HIM('chen) "versüßt" den Geschmack des Blin im Restaurant, in dem man nur schreiend eine Unterhaltung führen kann. Und die Töne, die aus den Cafes dringen kann auch ich oft genug nicht deuten. OK, es geht auch anders, nur wenn man ein gediegenes Restaurant, wie das hinten im rigarer Bahnhof gefunden hat, bei dem die Musik im Hintergrund säuselt und die Bedienung weis, wie man Besteck aufträgt. Dann sind die Preise hoch und die Schmackhaftigkeit der Speisen eher wünschenswert - wobei ich nicht weis, inwieweit das etwas miteinander zu tun hat -.

Ach eins noch: Wer - wie ich - ein Fan von Lakritz ist sollte sich einen entsprechenden Vorrat mitnehmen. Denn bis auf ein paar armselige, überteuerte Mini-Tüten Colorado hab ich im ganzen Land nichts entdecken können, dass sich Lakritz zu nennen lohnen würde. Der Geschmack selbiger Köstlichkeit weckt beim Durchschnittsletten dann aber auch eher Ekel als Begierde, sodass mehr für mich bleibt.

Typisch lettisch hingegen ist neben viel Fisch (Riga liegt schließlich direkt an der Ostsee) eher fettes Essen. In jedem Supermarkt, in jedem Tante-Emma-Laden und an jeder anderen Ecke gibt es Torte, die als Universalnachtisch herzuhalten hat und auch gern zu Festivitäten, typisch russisch, um Punkt Mitternacht, verzehrt zu werden gedenkt. Für zwischendurch bieten sich Blinie an. Der Franzose würde wahrscheinlich Crep dazu sagen. Es handelt sich in der Tat um einen eher süßlichen, rund ausgerollten Crep-Teig, der mit Marmelade, Schokolade, aber auch eher exotisch anmutenden Dingen wie Käse oder Wurst gefüllt sein kann.

Nur eins gehört zwar gerade bei Russen überall dran, nur nicht an einen Blin: Saure Sahne, Herr Klitschko...

Aber der Merkwürdigkeiten gibt es mehr, sowie in 6'er oder 8'er-Packs eingeschweißte, gebratene Hühnerbeine, welche kalt verzehrt werden oder, für alle, die es bislang nicht geschüttelt hat die sog. Vogelmilch. Im Grunde eine Mischung aus ein wenig Kondensmilch oder Milchpulver mit etwas Wasser, die solange mit Zucker angereichert wird bis ein Löffel drin steht. Ja, es soll tatsächlich Menschen geben, die sowas pur essen.

Die wichtigsten kulinarischen Eigenheiten sind aber - wie wohl kaum anders zu erwarten - flüssig und ziemlich hochprozentig. Neben dem eigenen Vodka ist in Riga der "Balsam" auf jeder dritten Werbetafel zu sehen. Ein dunkler Kräuterlikör für Hardliner. Ähnlich dem, was man hierzulande auch in Steingut bekommt, nur bei weitem nicht so süß wie hier. Auch das Bier braut sich der Lette selbst, eher niederprozentig und damit isotonisch besonders wertvoll. Na dann mal: Prost!

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